Interview: Liam
Neeson zu „96 Hours – Taken 2“
Wir
befinden uns mitten in den Neunziger Jahren des letzten Jahrhunderts.
Hollywood-Regie-Liebling Steven Spielberg hat mit seinem
Holocaust-Mammut-Filmprojekt “Schindler’s Liste” gerade
haufenweise Oscarnominierungen eingeheimst. Darunter auch für
Oskar-Schindler-Darsteller Liam Neeson. Die Welt schaut auf den
irischen 193cm Hünen. Plötzlich klingelt das Telefon mit einem
Angebot, dass seine Karriere komplett ändern könnte. In einem Film
namens “Goldeneye” soll er die Hauptrolle übernehmen. Richtig!
Ein Ire als Macho-Geheimagent James Bond. Doch er lehnt vehement ab.
Begründung? Neeson sieht sich einfach nicht in einem Actionfilm und war auch nie daran interessiert bei solchen Filmchen mit zu machen.
Seit
dem kämpfte er als schottischer Highlander in “Rob Roy”,
überzeugte als irischer Revolutionsführer “Michael Collins”,
schwang sein Jedi-Schwert um Obi-Wan Kenobi und Darth Vader in “Star
Wars” zu trainieren, bildete Batman in den düsteren
Neuverfilmungen in allen wichtigen Kampfsportrichtungen aus, lieh dem
mysthischen Löwen Aslan in den “Narnia”-Filmen seine Stimme und
verkörperte Zeus persönlich, was ihn mindestens in zwei Religionen
zu einem Gott macht. Er war der Kopf des Kino “A-Teams”, ein
begnadeter Wolfskiller in “The Grey” und trotzdem kamen fiese
Menschenhändler in “96 Hours” auf die Idee seine Tochter zu
entführen. Als pensionierter CIA-Agent Bryan Mills, der sogar den
Eiffelturm abreissen würde, um sein gekidnapptes Kind wieder zu
bekommen, ballerte sich Neeson 2008 in die Herzen der Actionfans. Nur
den Oscar - den hat er noch immer nicht bekommen. Egal - denn jetzt
startet die Fortsetzung “96 Hours - Taken 2” in den Kinos und der
neueste Actionheld am Hollywood-Himmel sitzt uns im 5-Sterne Hotel
gegenüber.
Seine
Haut ist braungebrannt, als würde er gerade aus dem Urlaub zurück
kommen, er trägt einen schwarzen Anzug, dazu ein dunkelblaues Hemd,
Haifischkragen, die ersten paar Knöpfe sind offen. “Wo soll ich
mich hinsetzen?” brummt seine beruhigende Stimme bei schummrigen
Kronleuchter Licht in das Luxus-Hotel-Zimmer am Berliner
Gendarmenmarkt. Da die Nachfrage natürlich groß ist und der
Hollywoodstar-Kalender gefüllt, teilt man sich die 20 Neeson-Minuten
gerne mit 5 anderen Kollegen, die mit am Runden Tisch vor dem
Hauptdarsteller sitzen. Alles ist mit dabei. Die junge, hippelige
Blondine, die eigentlich nur ihr Facebook-Foto beansprucht und dieses
lästige Interview-Geschwafel am liebsten so schnell wie möglich
hinter sich bringen will. Der schüchterne Fan, der auch mal leicht
ins Stottern kommt, die abgeklärte Boulevard-Jounalistin, sie alle
haben ihre Fragen und kämpfen um jede Sekunde Aufmerksamkeit. “Ob
er ein Wasser will?” fragt eine besorgte PR-Dame. Natürlich nicht.
“Ihm geht’s gut” antwortet er, während er mit einem
Zahnstocher in seinem Mund herumpuhlt und sich gelassen der
Fragerunde stellt.
Wie
fühlt es sich an, wieder in die gleiche Rolle zu schlüpfen?
Es
ist so, als würde man einen sehr komfortablen Anzug anziehen.
Als
sie das erste Mal, diesen Anzug trugen, passte er nicht wirklich ins
Liam Neeson Ouevre. Sind solche Actionfilme nicht eine große
Herausforderung für sie?
Ja.
Klar. Besonders vom körperlichen Aspekt her. Aber es ist
einfach
ein großer Spaß.
Wie
haben sie sich auf die Action vorbereitet?
Ach.
Na ja. Ein wenig mit der Waffe trainiert. Und ich war 7 Tage die
Woche im Fitnessstudio. Eine Actionszene ist wie ein Tanz. So was
macht mir - wie gesagt - einfach Spaß.
Und
das mit seinen sechzig Jahren. Na gut, bevor er Physik, Mathe und
Theaterwissenschaften studierte um Lehrer zu werden und später
Brummifahrer war, erkämpfte sich Neeson in jungen Jahren den
nordirischen Meistertitel im Boxen. Anscheinend hat der Mann nie mit
dem Fitnesstraining aufgehört. Er ist auch die Ruhe in Person, als
er die ersten Fragen in seiner ausgeglichenen Stimmlage beantwortet.
Sogar unser Fan wird von seiner Aura beruhigt, stottert nicht mehr
und bohrt drauf los.
Wie
lange habt ihr an der finalen Action-Szene im Hamam in Istanbul
gedreht?
Lass
mich überlegen. Wir durften nur 2 Tage mit dem Team dort sein. Und
die haben die Heizung schon zwei Tage vorher abgestellt…
Jetzt
kommt er ein wenig ins Schwärmen.
…Trotzdem
war es noch immer verdammt heiß! Das Ding wurde vor 500 Jahren als
Hamam gebaut. Es ist 500 Jahre alt und noch immer ein Hamam.
Ein
verständnisvolles Nicken von unserer Seite. Für eine Sekunde
passiert nichts im Raum.
Sehen
sie sich als Actionheld?
Och
nein. Ich habe 56 Filme gedreht.
Man
schaut ihm in die müden Augen. Er schiebt seinen Zahnstocher
gelassen im Mundwinkel hin und her, gönnt sich immer wieder
Atempausen um dann etwas wortkarg zu antworten. Mit seiner
Gelassenheit und der entspannenden Stimmlage fühlt man sich, als
würde ein vertrautes Familienmitglied seine Anekdoten seelenruhig am
Lagerfeuer sitzend besprechen. Die Stimmung - so wohlig es sich
anhört - scheint jedoch auf einem Tiefpunkt angekommen zu sein. Wenn
es so weitergeht, schläfert er uns vielleicht noch ein. Vielleicht
schläft er sogar noch selbst ein.
Falls
ihre Action-Karriere so weiter läuft. Sehen sie sich vielleicht
demnächst sogar bei den „Expendables“ im Team?
Endlich
ein erlösendes Lachen in der Runde.
Ich
glaube nicht. Da ist einfach kein Platz mehr für mich drinnen. Das
sind doch jetzt schon viel zu viele.
Würden
sie immer noch das James-Bond-Angebot ablehnen?
Ich
bin jetzt zu alt für James Bond und die haben im Moment einen super
Darsteller dafür.
Das
Lachen verstummt. Es wird wieder ruhiger im Raum. Ok, genug mit den
soften Fragen. Versuchen wir mal etwas über sein Familienleben
heraus zu finden.
Wie
sie vorhin erzählten, haben sie in über 56 Filmen mitgespielt.
Zwanzig davon in den letzten Jahren. Das ist ein immenser Output,
wann haben sie mal frei? Wann Zeit für ihre Familie?
Zwischen
den Filmen gibt es immer ein paar Monate Zeit. Ich meine an
“Battleship” habe ich nur für 4 Tage gearbeitet. “Batman - The
Dark Knight Rises” waren vielleicht 2 Stunden.
Waren
sie mit dem Ende der “Batman”-Filme zufrieden. Wie fanden sie den
Schluss?
Weisst
du. Ich habe ihn nicht gesehen. Man hat mir erzählt, ich bin im
Film.
Schauen
sie ihre eigenen Filme nicht?
Doch
schon. Aber “Batman - The Dark Knight Rises” soll wohl
dreieinhalb Stunden gehen. Komm schon. Ich meine, dass ist es, was
ich an den “Taken”-Filmen so mag. Die gehen nur 90 Minuten.
Er
schnippst mit seinen Fingern.
Sie
sind verdammt kompakt!
Die
Gewalt stört sie nicht?
Ach.
Ich bin Immun gegen solche Sachen. Das ist - leider - in unserer
Kultur verankert. Und es ist auch nur Filmgewalt.
Dürfen
ihre Söhne diese Filme schauen?
Ja,
klar. Die finden das super.
Wie
alt sind sie?
16
und 17 Jahre alt.
Was
denken sie über ihren Action-Papa? Nehmen die beiden sie ernst?
Nicht
ernst genug. Die sind jetzt aber in dem Alter, wo ich schon wissen
will, was sie von meiner Arbeit halten. Natürlich auch in Bezug auf
die “Taken”-Filme.
Und?
Sie
sagen immer “Dad - das war okay!”. Das ist dann auch alles was
man bekommt.
Ziehen
sie die Arbeit an Liebesfilmen oder Actionfilmen vor?
Ich
liebe es, beide Genres zu kombinieren.
Also
Liebesszenen in Actionfilmen?
Da
ist sie wieder, die berühmte Atempause. Doch plötzlich lächelt er
und schwatzt drauf los.
Du
meinst, ob ich auf Liebesszenen stehe? Es ist cool, aber auch immer
ein wenig peinlich.
Weil
so viele andere Leute dabei am Set mit rumstehen?
Ja,
es ist irgendwie unbehaglich. Nächste Woche drehe ich einen Film mit
Olivia Wilde und wir haben zwei oder drei Szenen in denen wir Liebe
machen. Der Regisseur kam zu mir und meinte. “Nur damit du bescheid
weisst, Olivia wird nackt sein”. Sie rennt einen Flur entlang, du
wirst sie in der Szene von hinten anhimmeln. Ich schaute ihn an und
sagte nur “super, das ist ausgezeichnet”.
Der
ganze Raum lacht. Wenn es um Frauen geht, scheint er wieder ganz da
zu sein. Die Stimmung ist auf ihrem Hochpunkt.
“Werden
sie auch nackt sein?” ruft unsere Blondine ungeniert von der Seite
in die Menge. Neeson grinst.
“Wir
brauchen dich auch nackt”, erklärte mir der Regisseur. “Dude -
mein verfickter irischer Arsch wird niemanden antörnen. Besonders
nicht auf 35mm Kamera!” erwiderte ich und die Sache war gegessen.
Haben
sie jemals daran gedacht nach Irland zurück zu ziehen?
Öhm.
Ich weiss nicht.
Haben
ihre Söhne eine Verbindung zu ihrem irischem Background?
Oh
ja. Sogar richtig.
Sie
haben mal gesagt, dass sie erleichtert sind, zwei Söhne zu groß zu
ziehen, weil sie Angst hätten, Töchter zu haben. Stimmt das?
Ja.
Bei Töchtern ist man einfach zu ängstlich und will sie zu sehr vor
allem schützen.
Also
wären sie schon wie ihr Film-Charakter in “Taken”?
Ja,
nur ohne die ganze Gewalt. Mit Jungs ist einfach alles viel
einfacher.
Das
muss er wirklich wissen. Neeson ist nämlich in einem reinen
Frauenhaushalt mit drei Schwestern aufgewachsen. Aufgelockert traut
sich die Fragerunde nun auch ein paar ernstere Dinge an zu sprechen.
In
den “Taken”-Filmen geht es unter anderem um zweite Chancen. Im
ersten Teil, hofft Papa Bryan auf eine neue Chance sich seiner
Tochter zu nähern. Im zweiten, will er seiner Ex-Frau wieder näher
kommen. Glauben sie an zweite Chancen?
Wenn
wir sie haben können…
Jetzt
wird es wieder ruhiger im Raum. Er denkt nach. Auch gern ein wenig
länger. Schaut in die Luft, spielt wieder an seinem Zahnstocher
herum. Natürlich weiss er worauf wir hinaus wollen. Wer seine
Shakespeare-Gesamtausgabe als eine von drei überlebenswichtigen
Dingen nicht missen will, der weiss wie Drama funktioniert. Und
sicher auch wie man ihm ausweicht.
Er
stottert ein wenig. Blinzelt mit den Augen.
Ja.
Ich glaube schon daran.
15
Jahre war Neeson mit der Schauspielkollegin Natasha Richardson
verheiratet. Die Mutter seiner Söhne Michael (17) und Daniel (16)
starb 2009 mit 45 Jahren nach einem Skiunfall an einer Gehirnblutung.
Laut Neeson hat er den Tod nur überlebt, indem er davonlief und sich
Hals über Kopf in Arbeit stürzte. Die gute Nachricht ist, 2010
verliebte er sich wieder in die 22-Jahre jüngere Freya St. Johnson.
Mittlerweile hat er sich wieder gefangen.
Was
meinen sie damit?
Im
Theater zum Beispiel kann man acht Mal die Woche eine zweite Chance
haben. Du verkackst etwas am Dienstag und am Mittwoch ist wieder
alles bestens.
Und
im echten Leben?
Nein,
ich glaube dort nicht.
Gibt
es trotzdem eine Situation, wo sie gerne eine dieser zweiten Chancen
im echten Leben genutzt hätten?
Er
murmelt die Frage noch mal leise vor sich hin.
Zweite
Chance…
Er
denkt nach.
Mir
fällt nichts ein.
Also
sind sie gerade fröhlich im Leben?
Zufrieden!
Ich glaube nicht an Fröhlichkeit, ich glaube an Zufriedenheit.
Kein
Glaube an Glück?
Nein,
es kommt und geht. Es sind immer nur Momente.
Das
war jetzt alles ein wenig erdrückend. Am besten wir kommen direkt
wieder auf den Film zu sprechen um den es hier ja gehen soll.
Gab
es gravierende Unterschiede zwischen dem Dreh vom ersten oder zweiten
„Taken“-Teil?
Es
geht. Die Franzosen arbeiten sehr schnell. Das mag ich.
Gucken
sie denn selbst solche Filme?
Das
ist eine gute Frage. Ich habe letztens “The Skin I Live In”
gesehen. Dieser Almodovar-Film. Er war sehr gut.
Sie
sind seit 2009 Amerikaner. Wie stehen sie zu den Wahlen?
Dazu
will ich nichts sagen.
Wird
es einen dritten “Taken” Teil geben?
Ich
glaube nicht. Aber ich würde gern mal wieder in Berlin drehen. Ich
meine Babelsberg sind die ältesten Filmstudios der Welt. Ansonsten
vielleicht in Hongkong.
Eine
der Pressefrauen stürmt in den Raum.„Letzte Frage!“ ruft sie in
die Runde.
Interessieren
sie sich für Einspielergebnisse, Zahlen und so was?
Ja
schon. Also früher nicht so, aber jetzt, wenn mein Name so groß im
Titel steht, da finde ich es schon sehr interessant. Ich bin nicht
besessen davon, aber es ist schon wichtig.
Und
dann ist auch alles schon wieder vorbei. Für ein paar Minuten war
man Teil im Leben eines Hollywoodstars. Unsere
Lieblings-Journalisten-Blondine bekommt ihr Foto, Liam Neeson bleibt
brav am runden Tisch sitzen, wir werden gemeinsam aus dem Raum
geleitet und vor der Tür wartet schon die nächste Reporter-Meute
bewaffnet mit ihren Diktiergeräten in den Händen.
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