Mittwoch, 19. Oktober 2011

Gesichtet: "Anonymous"

Anonymous

Regie: Roland Emmerich

Darsteller: Rhys Ifans, Vanessa Redgrave, David Thewlis

Kinostart: 10. November 2011

130 Minuten
Sony Pictures




Säufer, Hurenliebhaber und Analphabet — Ja, der echte William Shakespeare kommt in Roland Emmerichs „Anonymous“ nicht allzu liebenswert weg. Der echte? Genau, hier dreht sich alles um die Frage ob der bärtige Barde von Stratford-upon-Avon wirklich das Genie hinter der Geschichte des tragischen Lebens von „Hamlet“, der Liebe Romeos oder des blutigen Schaffens von König Heinrich V im Hunderjährigen Krieg ist. Tatsächlich weiß man ehrlich gesagt recht wenig über diesen Mann. Er war wohl der Sohn eines gänzlich ungelehrten Händlers und hatte seine akademische Ausbildung nur in einer Dorfschule. Tja und abgesehen von den Stücken die überliefert sind, gibt es keinerlei Manuskripte, Briefe, Tagebücher oder Gedichte die ihm zugeschrieben werden können.

Anonymous“ gibt nun eine mögliche Antwort, verschachtelt in einer Komplexen Geschichte über Verrat, Freundschaft, Leidenschaft und Loyalität. Alles hinter dem Vorhang des Theaters der Londoner Bühne, versteckt hinter einer Liebeserklärung an Shakespeares Ouvre und angesiedelt im politischen Durcheinander des elisabethanischen Englands. Außerdem ist der Streifen auch einfach mal eine andere Herausforderung für den gebürtigen Stuttgarter Regisseur. Kein Budget von hunderten Millionen von Dollars, Emmerich musste sich bei den Dreharbeiten in und um Berlin mit schlappen 30 Millionen zufrieden geben.




Wortkarg, waren sie eigentlich immer — seine Charaktere. Alles oft recht emotionslose Statisten in bunten Weltuntergangs-Knallbonbons. Spaß hatte man trotzdem. Ob in dem düsteren No-Future-Szenario von „2012“, der Alieninvasion von „Independance Day“ oder dem Säbelzahntigerkampf in „10.000 BC“ — okay, bei dem vielleicht dann doch nicht. Trotzdem, es war immer die Zerstörung, die es Emmerich angetan hatte. Dialoge? Egal! Hauptsache es fliegt alle paar Minuten was in die Luft. Jetzt reden seine Charaktere viel miteinander. Ja, sie sprühen förmlich vor aufbrausenden, gigantischen Dialogblasen. Plötzlich füllt Emmerich eine Welt mit Leben anstatt es zu nehmen. Eine längst vergangene, aber durchaus vitale Welt. Sie strotzt geradezu voller Spielfreude, voller Musik, malerischen Sets und detailverliebten Kostümen. Ja, es ist das erste Mal, das er etwas kreiert und nicht vollkommen zerstört.

Die Frage nach der wirklichen Identität Shakespeares ist da die spannendste der vielen Geschichten die erzählt werden, wenn sich der einfältige Schauspieler William Shakespeare für seine nicht selbstverfassten Stücke vom Publikum wie ein historischer Rockstar feiern lässt, während sich der Graf von Oxford (der der wirkliche Urheber der Kulttheaterstücke sein soll) auf den Zuschauerrängen windet, weil er nicht zu seiner eigenen Poesie stehen darf, beweist Emmerich ein wundervolles Händchen für eine großartig, einfältige Inszenierung. 



Da hätte es nicht gestört, vielleicht den einen oder anderen Royal-Soap-Skandal besser unter den Tisch zu kehren, obwohl alle Akteure hier mit Rhys Ifans, Vanessa Redgrave oder Rafe Spall eine Glanzleistung abliefern. Und auch wenn man das Lichtspielhaus erst etwas verwirrt und vollgepackt mit Informationen verlässt. Mit der Zeit weiß man, das man es mit gutem Kino zu tun hat, es wächst das Interesse für das Thema und die Anerkennung für eine Regie-Leistung, die man eigentlich nicht erwartet hatte. Genau wie ein guter Wein, muss „Anonymous“ erst mal ein wenig im eigenen Geiste reifen, bis er seine kompletten Aromen entfaltet und als das angesehen wird, das er ist: Ein wirklich guter Kostümfilmblockbuster.




60%